Volksmusiktage als Hommage an eine Pionierin
Erstmals finden in unserer Region Volksmusiktage statt, und zwar am Pfingstwochenende in Arlesheim. Innerhalb der Organisation Verein Bühnete hat der Musik- und Sozialpädagoge Fritz Krey die Projektleitung übernommen. Die künstlerische Leitung liegt in den Händen seiner Frau Annerose Krey, die während 30 Jahren eine private Musikschule leitete und sich – wie auch ihr Mann – ein fundiertes Wissen in der Volksmusik angeeignet hat. Zur Aufführung kommt volkstümliche Musik der «innovativen» Szene.
Ein beeindruckendes Lebenswerk
Die Tatsache, dass heute Schweizer Gruppen und Einzelkünstler auf einen reichen Fundus an Tanzmelodien zurückgreifen können, verdankt sie einer Frau aus dem Baselbiet, deren Name kaum geläufig sein dürfte: Hanny Christen. Sie wurde als Johanna Christen am 3. August 1899 in Liestal geboren. Die Aufzeichnungen ihres Grossvaters Jakob Christen weckten ihr Interesse an Geschichte und Brauchtum. Insbesondere die Volksmusik, wie sie von alten Musikanten tradiert wurde, faszinierte sie. So begann Hanny Christen, die selbst Cello und Klavier spielte, eine gute Stimme und ein vorzügliches Gehör besass, sich eine Sammlung von Volksweisen zuzulegen. Bald wurde ihr die Region zu klein. Sie zog mit ihrem unförmigen Uher-Tonbandgerät durch die Schweiz. Maja Zimmermann, ehemalige Münsterpfarrerin in Bern, sagt in einem Interview: «Sie war wirklich ein feu sacré in Person, mit ihren hellen Augen. Sie war ganz sicher nicht die Charmierfrau, die zuerst mal die Situation abwartete. Wahrscheinlich kam sie einfach her und sagte: So jetzt spielt mal.» Da Hanny Christen mit ihrer Ablehnung der seit 1930 populär werdenden Ländlermusik sowie ihrer romantisierenden Sicht der Volksmusik Anstoss erregte, blieb ihr die Anerkennung zu Lebzeiten weitgehend versagt. Mit 64 Jahren übergab sie ihren Nachlass der Universitätsbibliothek Basel. Die vorwiegend zwischen 1940 und 1960 zusammengetragenen Volksmelodien erreichten eine Zahl von 12000. Der Komponist Fabian Müller hat 1992 die Sammlung ausgegraben. Unter seiner Leitung und dem Patronat der «Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz» (GVS) wurde die zehnbändige Enzyklopädie mit über 10000 Titeln herausgegeben. Die Tanzmusik der Schweiz des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts» ist ein Respekt einflössendes Riesenwerk.
Hanny Christen (1899–1976)
Auswirkungen auf die Gegenwart
Die Enzyklopädie schlummert nicht einfach in Bibliotheken, sondern wird rege benutzt. Es kam zu Neuinterpretationen des Materials, etwa durch die «Hanneli-Musig», ein aus klassischen Musikern bestehendes Schweizer Septett. Auch Musiker wie Max Lässer mit seinem Überlandorchester finden in Christens Sammlung Inspiration. Hanny Christen hätte den innovativen Umgang mit ihrer Sammlung kaum gutgeheissen. Sie stellte sich ganz klar gegen die «Ländlermusig», wie sie während der Landi 1939 gespielt wurde, und distanzierte sich von den Einflüssen des Jazz (Swing). Ohne Hanny Christens immensen Effort jedoch wäre vieles von der Tanzmusik der Schweiz für immer verloren gegangen. Insofern kann man die ersten Volksmusiktage in Arlesheim auch als Hommage an Hanny Christen betrachten.
Volksmusik gleich Tanzmusik
Wo immer früher Volksmusik gespielt wurde, handelte es sich dabei eigentlich um Tanzmusik. Darum findet am Pfingstsamstag, 14. Mai, in der Mehrzweckhalle beim Domplatzschulhaus Arlesheim auch eine «Tanzete» statt. Für alle, die sich unsicher fühlen, gibt es Crashkurse in Trachten- und internationalen Tänzen.
Die «Huusmusig Effige» (AG), das Volksmusikensemble «#fidel» (gesprochen: «krüzfidel»; Arlesheim) und die Ländlerkapelle «Guschtis» (LU) werden aufspielen. Die «Guschtis» sind eine Gruppe von Musikantinnen und Musikanten der jungen Formation «Fränzlis da Tschlin», dem Topgeiger Andy Gabriel und anderen Musikern der innovativen Volksmusikszene. Am Pfingstsonntag findet in der Reformierten Kirche in Arlesheim ein Konzert statt. Das Ensemble «#fidel» spielt Stücke aus der Hanny-Christen-Sammlung, gefolgt vom Konzert der «Hanneli-Musig» zum Thema «Polka ma non troppo ...». Nach einer Orgelintervention des Luzerner Hoforganisten Wolfgang Sieber stimmen alle in den gemeinsamen Abschluss ein.
Die Möglichkeit, so viele hochkarätige Volksmusiker gemeinsam musizieren zu hören, wird nicht oft geboten. Darum sollte man das Pfingstwochenende für die Volksmusiktage reservieren.
Text: Thomas Brunnschweiler, Fotos: Thomas Brunnschweiler und Mülirad Verlag Altdorf (zVg)